Das Spital zu Hause

Ein neues Konzept im Rahmen der vollintegrierten Versorgung VIVA verbessert das Wohlbefinden der Patienten und hilft, Kosten zu sparen.

Bild: Mauro Mellone

Tavannes, Tramelan, Saint-Imier, Moutier und von dort zurück nach Tavannes: Fast jeden Tag ist Aurore Kauffmann, Pflegefachfrau beim Réseau de l’Arc, im Rahmen eines Pilotprojekts im Jurabogen unterwegs. Hospital@Home, also das «Spital zu Hause»,  ist Teil der vollintegrierten Versorgung VIVA von Visana. Es geht darum, einen Aufenthalt im Spital zu vermeiden oder zu verkürzen.

Patientinnen und Patienten erhalten zu Hause die gleiche medizinische Behandlung und Pflege wie im Spital, wobei die jeweilige Abteilung die medizinische Verantwortung übernimmt. Ist die Behandlung beendet, erfolgt ein Spitalaustritt – ebenfalls daheim. Mit einem Austrittsbericht und einer Übergabe an die Hausärztin oder die Spitex wird sichergestellt, dass im Anschluss die optimale Pflege zu Hause gewährleistet ist.

In der Schweiz ist das Konzept neu. Die Swiss Hospital at Home Society wurde erst vor rund zwei Jahren gegründet. Das zeigt, wie das Réseau de l’Arc, das im Oktober 2023 seine Arbeit aufnahm, Pionierarbeit leistet. Zum Dienst gehören fünf Pflegefachpersonen, vier Ärzte und ein Assistenzarzt sowie ein Apotheker.

Das Herzstück sind die Pflegefachpersonen. Um 7 Uhr hat Aurore Kauffmann noch etwas Zeit, um die letzten Details ihrer Patiententour vorzubereiten. Die in Frankreich diplomierte Pflegefachfrau bildete sich am Unispital in Lausanne weiter und stiess vor anderthalb Jahren zum Team. Sie fühlte sich rasch wohl: «Hospital@Home setzt eine vertrauensvolle Beziehung und gegenseitiges Wohlwollen zwischen Patientinnen und Pflegepersonal voraus», ist sie überzeugt. 

Kurz vor 8 Uhr ist Abfahrt nach Tramelan, wo Aurore Kauffmann den 80-jährigen Janos besucht. Er leidet an einer Herzdekompensation, einer bei älteren Menschen verbreiteten Krankheit. Sein Zuhause zeugt von seiner Leidenschaft für die Musik und das «Werkeln»: Auf seinen Schränken thront hier ein Flügelhorn, und dort stehen eindrückliche Schiffs- und Flugzeugmodelle – etwa die Kolumbus-Karavelle oder das legendäre Flugzeug von Louis Blériot. 

Aber das gehört alles der Vergangenheit an. Die Gegenwart, der langsame Verlust seiner Selbständigkeit, drückt Janos aufs Gemüt. Plötzlich fliessen Tränen. Aurore Kauffmann ist sofort zur Stelle und legt ihm tröstend den Arm um die Schulter. Dann folgen die Routinekontrollen. «Wie geht es mit den Schwindelanfällen?», fragt sie. «Etwas besser als gestern, es könnte schlimmer sein», antwortet Janos. 

Er ist sehr froh, dass er nach einem dreiwöchigen Spitalaufenthalt früher als geplant in sein Zuhause zurückkehren konnte und die Spitalbehandlung zu Hause abschliessen kann. «Im Spital spürte ich den Stress des Betriebs, hier können mir meine Frau und die Nachbarn helfen.» 

Aurore Kauffmann erweckt nie den Eindruck, unter Zeitdruck zu stehen. Sie hört zu, ohne zu beurteilen, notiert die täglichen Werte, kündigt den Assistenzarztbesuch später am Tag an und nimmt sich vor dem Abschied Zeit, um die Modellbauten des Patienten zu bewundern. 

Weiter geht es Richtung Saint-Imier, wo Werner wartet, ein ehemaliger Uhrmacher mit unverkennbarem Schreinertalent. Der 75-Jährige ist stolz auf die selber renovierte Küche und das getäfelte Wohnzimmer. Er leidet an Endokarditis – einer Infektion der Herz­innenwand –, ist Diabetiker und ist ebenfalls froh, seine Spitalbehandlung daheim zu beenden. «Im Spital war es mir zu laut», sagt er. Auch er ist erleichtert, wieder in den vertrauten vier Wänden zu sein. «Das Spital zu Hause ist top, die Pflegerinnen sind alle sehr nett», lobt er. «Hier kann ich mich besser beschäftigen, und mein Enkel kommt mich regelmässig besuchen.»

Aurore Kauffmann freut sich, macht sich aber etwas Sorgen wegen der vier Kilo, die der Patient zugenommen hat. «Achtung, das geht in die falsche Richtung», mahnt sie und verabschiedet sich, um die Visiten in Moutier weiterzuführen. 

Aurore Maggiotto, Verantwortliche für Hospital@Home beim Réseau de l’Arc, erläutert einen zentralen Punkt: «Das Ziel ist immer, die richtige Pflegeperson am richtigen Ort für die Patienten im Einsatz zu haben. Die wenigsten Menschen sind gerne längere Zeit im Spital, wenn es auch anders geht.» Die Stärke des Konzepts liegt in der intensiven Zusammenarbeit von Pflegenden und Ärzten. Die Pflegefachpersonen sind die Augen und Ohren der Ärztinnen und Ärzte, welche die Diagnose stellen und die Medikamente verschreiben. «Unser Pflegepersonal ist darin geschult, eine gewissenhafte und fachlich einwandfreie klinische Evaluation durchzuführen.»

Rund zwei Jahre nach Beginn des Pilotprojekts ist es noch zu früh für eine Bilanz. Aber die Vorteile liegen auf der Hand: Patientinnen und Patienten fühlen sich in einem familiären und vertrauten Umfeld wohler. Und auch auf die Gesundheitskosten hat das Projekt einen positiven Effekt: «Ein Tag im Spital kostet etwa 1200 Franken, die Behandlung zu Hause nur etwa 60 Prozent davon», schätzt Aurore Maggiotto.

Noch zu regeln ist die Finanzierung des Spitals zu Hause. Aktuell werden die Leistungen gleich entschädigt wie die der Spitex im ambulanten Tarif, obwohl sie viel komplexer sind. Die Direktorin von Viva Health, Esthelle le Gallic, sieht zwei Möglichkeiten: «Entweder erreichen wir eine Neubewertung im Gesetz, oder wir setzen uns mit den Krankenversicherern an einen Tisch und schaffen es, Pauschalen auszuhandeln.» Denn sie ist überzeugt: «Das Spital zu Hause wird in Zukunft ein unentbehrlicher Teil unseres Gesundheitssystems sein.»

VIVA


Bei der VIVA-Grundversicherung mit vollintegrierter Versorgung stehen das Gesundbleiben und das Gesundwerden im Zentrum. Alle medizinischen Leistungen, von der Grundversorgung über Spitalleistungen bis hin zu Spitex und Pflege im Alter, werden zentral aus einer Hand erbracht und durch persönliche Gesundheits-
koordinatoren begleitet. Visana bietet VIVA schon im Jurabogen und im Tessin an, es kommen immer mehr Regionen dazu.

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